Blick aus futuristischen Auto mit Sicht auf blau leuchtendem verschwimmenden Hintergrund

Automotive SPICE - Was ist das genau?

Software-Entwicklungsprozesse helfen, konstant hochwertige Ergebnisse zu erzielen. Automotive SPICE® ist ein Rahmenwerk, das die Leistungsfähigkeit Ihrer Prozesse misst, Schwachstellen aufdeckt und hilft, diese abzustellen.

Es gibt konkrete Vorgaben für die einzelnen Prozessgebiete (Base Practices) und Vorgaben, die alle Prozesse erfüllen müssen (Generic Practices). Weiterhin werden Inhalte und Ergebnisse definiert, die ein Entwicklungsprozess erbringen muss. Daraus entsteht ein Gesamtbild dessen, was im Laufe der Entwicklung an Tätigkeiten umgesetzt und an Resultaten erzielt werden muss.

 

Automotive SPICE - was ist das genau und was habe ich davon?

Mit Hilfe von Automotive SPICE finden Sie heraus, wie gut Ihre Arbeitsweisen sind. Automotive SPICE unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Reifegraden, von "gute Qualität ist Zufall" (Level 0) bis hin zu "die Prozesse verbessern sich selbst automatisch". Gängiges Ziel ist Level 2, der sogenannte gesteuerte Prozess. Dieser Reifegrad ist zumeist die Voraussetzung dafür, dass Sie mit Ihrem Team für einen OEM Software entwickeln dürfen.

Der Nutzen davon ist also, dass Sie Ihre Prozesse verbessern und sich mit dem Nachweis eines gewissen Reifegrads als Software-Lieferant für die meisten OEM qualifizieren können. 

 

Und wie geht das nun?

In einem ersten Schritt stellen wir fest, wie genau in ihren Projekten gearbeitet wird. Dieser Ist-Stand wird mit bewährten Verfahren der Software-Entwicklung abgeglichen. Diese bewährten Verfahren heißen im Automotive SPICE-Umfeld "Base Practices" bzw. "Generic Practices". Es gibt sie für jedes Prozessgebiet und sie beschreiben, was man tun muss, um verlässlich gute Software entwickeln zu können.

Im nächsten Schritt definieren wir mit dem Projekt gemeinsam Maßnahmen, wie wir bislang noch nicht gelebte Vorgehensweisen einführen und umsetzen können. Dabei achten wir darauf, dass die Aktivitäten auch einen tatsächlichen Mehrwert für das Projekt bedeuten.

Das heißt also, dass wir viel mehr als bisher machen müssen. Projekte dauern dadurch länger und werden teurer!

Wenn Sie bislang noch keine der geforderten Verfahren anwenden, ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Projekte bestenfalls zufällig im Budget bleiben und zumeist auch verspätet fertig werden. Was SPICE fordert ist eine zielgerichtete, geplante und gesteuerte Vorgehensweise. Dabei sagt Automotive SPICE nicht WIE etwas gemacht werden muss, sondern WAS gemacht werden muss. Bei der Umsetzung können wir also darauf achten was angemessen ist oder was in Ihrem Fall über das Ziel hinausschießen würde.

Ein Beispiel:

Um Änderungswünsche des Kunden zielgerichtet und sicher zu bearbeiten fordert Automotive SPICE eine Strategie, wie mit Änderungen umgegangen wird (SUP.10.BP1). Das ist auch absolut sinnvoll, weil dann das gesamte Team weiß, was im Falle eines Änderungswunsches zu tun ist. Weiter wird gefordert, Änderungswünsche zu identifizieren, aufzuzeichnen (SUP.10.BP2) und den Status zu überwachen (SUP.10.BP3). Auch da wird niemand etwas dagegen haben können, in den meisten Fällen wird hier viel Arbeit mithilfe der Nutzung eines Ticketsystems erledigt.

Den Änderungswunsch zu analysieren und seine Auswirkungen abzuschätzen (SUP.10.BP4) ist dabei ebenso wichtig wie die Einrichtung eines Experten-Gremiums, das über die Umsetzung der Änderung entscheidet (SUP.10.BP5). Die Umsetzung zu überwachen (SUP.10.BP7), zu überprüfen und zu testen (SUP.10.BP6) und nachvollziehbar zu dokumentieren (SUP.10.BP8) sind zumeist ohnehin schon eine Selbstverständlichkeit.

Sind diese Schritte im Team etabliert, haben wir für das Prozessgebiet "Change Request Management" (SUP.10) ein Automotive SPICE-Level 1 bereits erreicht.

Ohne diese Verfahren werden früher oder später ernsthafte Probleme auftreten. Spätestens dann, wenn ein Änderungswunsch vergessen wurde (weil nicht aufgezeichnet), oder sich niemand mehr erinnern kann, weshalb die Software das tut was sie tut (nicht nachvollziehbare Dokumentation).

Mitarbeiter besprechen Prozessmanagement als Bestandteil von Automotive-SPICE

Wir müssen also alles anders machen als bisher?

Das passiert in den seltensten Fällen. Zumeist gibt es bestehende Vorgehensweisen, die vielleicht noch nicht ganz ausreichen und Optimierungspotenzial aufweisen. Die Base Practices beschreiben alle sinnvollen Aktivitäten in einem Entwicklungsprozess. Durch die Ergänzung von noch fehlenden Aktivitäten werden bestehende Prozesse vervollständigt und verbessert. Oft lässt sich mit kleinen Änderungen ein großer Erfolg erzielen.

 

Unsere Entwickler sind Künstler - die halten sich nicht an Prozesse!

Das mag von außen betrachtet bisweilen so wirken, aber auch Künstler haben ihren Stolz. Sie würden wohl kaum ein Werk herausgeben, mit dem sie nicht zufrieden sind. Um das hinzubekommen setzen sie bereits jetzt schon Mittel und Methoden ein, die sich in der Entwicklung bewährt haben. Diese sind erstaunlich oft bestens dafür geeignet, die Base Practices von Automotive SPICE zu erfüllen. Und was bei einem Entwickler gut funktioniert, das können die anderen ja auch mal ausprobieren. Wir helfen dabei, die geeigneten Vorgehensweisen zu identifizieren, zu dokumentieren und bei allen im Team zu etablieren.

 

Und mit einem bestandenen Assessment ist mein Unternehmen dann SPICE-zertifiziert?

Nein. Anders als beispielsweise eine ISO-Zertifizierung ist ein SPICE-Assessment immer nur eine Momentaufnahme der Arbeitsweisen in einem Projekt. Viele Hersteller fordern von ihren Lieferanten, dass sie regelmäßig Projekte überprüfen und einen Nachweis zum SPICE-konformen Arbeiten führen. Ein unternehmensweiter Standardprozess ist daher eine gute Basis für eine Automotive SPICE-konforme Arbeitsweise. Welche weiteren Erfolgsfaktoren entscheidend für das Gelingen sind, haben wir in einem Handout übersichtlich zusammengestellt. Gerne reinschauen!

 

Wir arbeiten agil - das passt doch mit SPICE nicht zusammen!

Ja und nein. Es gibt ein paar Konflikte zwischen Automotive SPICE und einer konsequenten agilen Arbeitsweise. Eine vollständige Abkehr von agilen Prozessen ist jedoch nicht nötig, es genügt, einige Kompromisse einzugehen. Automotive SPICE fordert zum Beispiel eine unabhängige Qualitätssicherung.

Agile Teams arbeiten jedoch autark und von äußeren Einflüssen abgeschirmt. Es muss also ein Vorgehen definiert werden, das dem Team noch maximale Selbstbestimmung ermöglicht, aber auch eine Qualitätssicherung "von außen" zulässt. Das kann durch die Beteiligung der Qualitätssicherung an Reviews erfolgen. Das ist dann nicht mehr ganz getreu den agilen Prinzipien, aber eine Möglichkeit, die beiden Welten zu vereinen.

Viele Anforderungen von Automotive SPICE sind bei einer agilen Arbeitsweise allerdings auch schon automatisch erfüllt. Automotive SPICE fordert in fast jedem Prozessgebiet, dass Ergebnisse an alle Beteiligten kommuniziert werden müssen. Dies wird durch die agilen Standard-Meetings (Daily, Review, Retrospektive) durchgängig erfüllt.

 

Was ist der "VDA-SCOPE" (oder auch "HIS-SCOPE")?

SPICE teilt die Prozesse in einzelne Prozessgebiete auf. Das Prozessmodell versucht, alle möglichen Prozesse abzubilden und ist daher sehr umfangreich. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bzw. die Herstellerinitiative Software (HIS) haben aus genanntem Umfang eine Auswahl der gängigsten Prozessgebiete getroffen und klammern die weniger zentralen Prozessgebiete zunächst aus. Im Fokus bleiben die Entwicklungsprozesse (von der Anforderungserhebung bis zum Test), Projektmanagement, Lieferanten-­Monitoring und die Unterstützungsprozesse wie Qualitätssicherung, Konfigurationsmanagement, Änderungs- und Problemlösungsmanagement. Weitere Prozessgebiete können hinzugenommen werden, aber für den Anfang konzentrieren wir uns auf diese definierte Auswahl.

 

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