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Muss man mit Scrum arbeiten, um agil zu sein?

„Wir sind agil! Wir können unseren Entwickler*innen jederzeit neue Anforderungen zurufen, die dann am nächsten Tag umgesetzt sind!“, „Wir haben ein Taskboard, also machen wir Kanban!“ und „Agil ist ein Synonym für Scrum. Um agil zu sein, müssen wir nach Scrum arbeiten". Bei Aussagen, wie diesen wissen erfahrene Scrum Master und Agile Coaches, dass eine Menge Arbeit auf sie wartet, um mit Unklarheiten aufzuräumen und um den richtigen "Spirit of Agile" zu etablieren. In diesem Beitrag zeige ich Dir, was agil tatsächlich bedeutet und kläre die größten Missverständnisse, die in diesem Kontext so gängig sind, auf. 

Agil ist zunächst einmal keine Methode oder ein Vorgehen. Agil basiert auf vier Werten und zwölf Prinzipien, die 2001 von einer Gruppe, bestehend aus siebzehn Vordenker*innen der modernen Arbeitswelt, während eines Skiurlaubs in Utah festgelegt wurden. Diese Werte und Prinzipien beschreiben was agil ist und wie damit gearbeitet wird. Agil gearbeitet also. Jede Aktivität die diesen Prinzipien folgt, oder versucht sie zu befolgen, ist damit agil. Als weiterführende Lektüre empfehle ich das Agile Manifesto zu lesen, welches die zugrundeliegenden Werte und Prinzipien tiefergehend beschreibt. Zusammengefasst stehen im Agilen die folgenden Werte höher als die Nebenstehenden:

  • Individuen und Interaktionen über Prozessen und Tools
  • Funktionierende Software über umfassenden Dokumentationen
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden über Vertragsverhandlungen 
  • Das Reagieren auf Veränderungen über dem Befolgen eines Plans

 

Auch wenn das Agile Manifesto die ersteren Werte höher schätzt, sind die anderen dennoch nicht unwichtig. Kritiker würden sagen, dass die klassischen Ansätze des Risikomanagements mit dem Agile Manifesto über Bord geworfen werden und einer Unberechenbarkeit weichen. Beim zweiten Hinsehen erkennt man jedoch, dass Prozesse, das Planen und das Dokumentieren nicht wegfallen, sondern um wichtige Grundwerte ergänzt werden. Ein Team oder Team of Teams, in dem die Einzelnen ihre Aufgaben kennen und gut ausgebildet umsetzen können, wird das Risiko nicht nur in intelligenten Prozessen, sondern vor allem durch Kooperation und Teamgeist minimieren. Auf Veränderung kann reagiert werden, weil in kurzen und effektiven Besprechungen Lösungen entstehen. Das andere Extrem wäre, dass man wie die Feuerwehr nur noch Brandherde bekämpft und systematischer Fortschritt und Effizienz auf der Strecke bleiben.

Was hat das Ganze nun mit Scrum zu tun? Wie wir jetzt wissen, ist agil mehr eine Sammlung bestehend aus Werten und Prinzipien, denn von Tools und Prozessen. Scrum ist ein agiles Vorgehen. Also eine Möglichkeit nach den agilen Werten und Prinzipien zu arbeiten. Zusätzlich geht Scrum mit fünf ganz eigenen Werten (Mut, Fokus, Commitment, Offenheit und Respekt) einher und bringt ein Rahmenwerk mit sich, in dem Projekte umgesetzt werden. 

Es gibt aber auch alternative Möglichkeiten und Prozesskontrollen, die ein agiles Arbeiten ermöglichen. Die bekanntesten Beispiele dafür sind Extreme Programming und Kanban. Diese beiden werden jeweils ebenfalls wieder von einem eigenen Rahmen begleitet, der die agilen Werte und Prinzipien ergänzt. Wie Du siehst, ist also nicht ein jedes beliebige Taskboard auch mit Kanban gleichzusetzen. Zu Kanban gehört weitaus mehr. Der häufigste Fehler bei Kanban ist das Fehlen eines WIP-Limits und Missachtung des Pull-Prinzips.

Kleiner Exkurs: 

WIP-Limit bedeutet, dass die Anzahl der maximal gleichzeitig durchgeführten Projekte bzw. abgearbeiteten Aufgaben (WIP-Limit) festgelegt wird. Dabei steht WIP (Work in Progress, als WIP abgekürzt, oft auch als Work in Process bezeichnet), dafür wie viel Arbeit im jeweiligen System bearbeitet wird. Der WIP kann als Warnsystem dienen, denn das parallele Bearbeiten vieler Aufgaben kann zum negativen Multitasking führen.

Pull-Prinzip bedeutet, dass jedes Team selbst entscheiden kann, wie viele Aufgaben es in das Backlog im nächsten Sprint aufnimmt - und nicht dass das Management diese Entscheidung fällt. Die Mehrzahl der Organisationen, welche Schritte in die agile Welt machen, arbeitet immer noch mit hybriden Modellen. D.h. sie führen und planen klassisch mit Projektportfolien, setzen die Projekten aber agil um. Die Frage lautet also: Gehen wir mit der "Arbeit zum Menschen" (bestehende Teams, Pull-Prinzip) oder mit dem "Menschen zur Arbeit" (Projekte, Push-Prinzip).

Die Abwesenheit beider Bestandteile von Kanban heißt im Umkehrschluss, dass das ganze Konstrukt für die meisten Menschen dann lediglich eine Visualisierung darstellt. Der Fokus auf den Flow, die Limitierung der Arbeit (WIP-Limit) und die kontinuierliche Verbesserung werden vollständig außen vor gelassen. Das ziemlich schlichte Resultat aus der Missachtung dieser wichtigen Prinzipien ist dann die Tatsache, dass man nicht mit Kanban arbeitet, sondern einfach nur mit einem Taskboard. 

Das letzte Missverständnis bezieht sich auf die Illusion, dass Scrum-Teams oder ganz allgemein agil arbeitende Teams Großmeister*innen der Zauberkunst oder magische Wunscherfüller*innen sind. Die Erwartung, dass man einem agilen Team jederzeit neue Anforderungen über den Zaun werfen kann, die dann am nächsten Tag einwandfrei umgesetzt sind, ist Quatsch und absolutes Wunschdenken. Wenn jede*r den Entwickler*innen dauernd sagt, was wichtig ist und was sofort umgesetzt werden soll, verliert das Team den Fokus. Des Weiteren wird dem Team durch solches Verhalten die für das Funktionieren der agilen Grundprinzipien elementar wichtige Selbstorganisation entzogen. Ein, wenn nicht der große Mehrwert und Benefit von agilem Vorgehen. Es entscheidet dann nicht mehr das Team, woran gearbeitet wird, sondern jemand anderes, ohne aber die Kenntnisse und das empirisch erarbeitete Wissen des Teams zu haben.

,Es ist nicht alles agil ist, wo agil drauf steht. Im Alltag kann es helfen sich die Werte und Prinzipien des Agile Manifestos bewusst zu machen und zu inspirieren, wo wirklich agil gelebt wird und wo noch Handlungsbedarf besteht. Wir von der Agile Solutions helfen Dir gerne dabei zu analysieren, wie Dein Unternehmen agil werden kann oder wie es näher an die Idee des agilen Arbeitens herankommen kann. Wenn Du mehr erfahren möchtest, empfehle ich Dir weiter unseren Blogbeitrag „Wann ist Scrum sinnvoll, wann nicht?“. Wenn es konkrete Fragen zu den Themen Scrum, Sprintplanung und agilen Methoden gibt oder das Interesse an Complementary Pracitces und Verbesserungen innerhalb von Sprints geweckt wurde, schau doch einfach bei unserem Agile Community After Work Event vorbei. Dort kannst du gerne deine offenen Fragen an die agile Community stellen. Nächster Termin: 13.10. um 17:30 in München.

Zum Abschluss stelle ich mich gerne noch bei Dir vor:

"Seit mehr als fünf Jahren unterstütze ich Unternehmen mit unterschiedlichen agilen Reifegraden aus den Branchen Automotive und Finanzen als Scrum Master, Agile Coach und Agile Transformator. Ferner begleite ich einzelne Personen bis hin zu ganzen Abteilungen auch in Coaching-Fragen und beim Change. Natürlich agil und klassisch. In meinem Vorgehen berufe ich mich stark auf die agilen Werte (u.a. "Transparenz", "Respekt" und "Offenheit") und die entsprechenden Grundsätze (u.a. "effizienter, schneller, glücklicher")."

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